10 February 2009

Die Wahrheit

Hallo zusammen,
ich habe gerade einen Zeitungsartikel gelesen, der die Wahrheit sagt. Natürlich, nicht in der italienischen Presse. Das würde fast ein Wunder sein. Nein, diesen Artikel habe ich in der Webseite des staatlichen öffentlichen deutschen Fernsehens, ARD tagesschau.de. Der Journalist Stefan Troendle schreibt einen Kommentar über Berlusconi. Die meisten Artikeln über Berlusconi sind normaleweise entweder nur ein Bericht ohne Kommentare (oft auch nicht der Wahrheit entsprechend) oder witzige Sprüche, lustige Bemerkungen usw. Sehr selten kann man ernste Kommentare oder richtige Zeitungsartikeln lesen, die die Wahrheit sagen. Lesen wir mal:

Fall Englaro zeigt Berlusconis Gefährlichkeit
Von Stefan Troendle, ARD-Hörfunkstudio Rom

Auch wenn man manchmal daran zweifeln mag: Italien ist ein Rechtsstaat. Und in Italien ist gestern Recht geschehen. Die 38 Jahre alte Komapatientin Eluana Englaro ist gestorben, vier Tage nachdem künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr abgestellt wurden. Grundlage für diese Form von passiver Sterbehilfe war ein Urteil des obersten italienischen Berufungsgerichtes.

Was allerdings irritiert, ist das absolut unrechtsstaatliche Verhalten des italienischen Regierungschefs Silvio Berlusconi, der monatelang Zeit hatte, ein Gesetz zur Patientenverfügung auf den Weg zu bringen. Aktiv wurde Silvio Berlusconi nämlich erst am letzten Freitag, als er urplötzlich von der Dringlichkeit des Falles Eluana Englaro überrumpelt wurde. Dann musste plötzlich ein Eildekret her, das Staatspräsident Giorgio Napolitano aufgrund dessen Verfassungswidrigkeit nicht unterschreiben konnte.

Problem mit der Gewaltenteilung

Dass es sich hierbei um eine Intrige handelt, wird noch deutlicher, wenn man die Titelseite der Berlusconi-Zeitung "Il Giornale" liest. Die erscheint heute mit der großen Schlagzeile "Sie haben sie umgebracht" - und kritisiert offen den Staatspräsidenten. "Er hätte es verhindern können, herzlichen Glückwunsch Napolitano" heißt es zynisch.

Berlusconi hat ein Problem mit der Gewaltenteilung in seinem Land, das ist klar zu erkennen. Er schreckt weder vor einem Angriff auf das Staatsoberhaupt zurück, noch respektiert er Urteile des höchsten Berufungsgerichtes, wenn ihm diese nicht in den Kram passen. Er kommandiert das Parlament, das auf seine Anweisung nach Belieben Gesetze einbringt und wieder zurückzieht, wie im Fall Englaro geschehen. Und noch etwas wird deutlich: Der Regierungschef kontrolliert fast das komplette Fernsehen und viele Zeitungen und er nutzt diese Macht schamlos aus. Niemand spricht über seinen Interessenkonflikt, den er - obwohl versprochen - nie gelöst hat.

Berlusconi regiert das Land nach Gutsherrenart. Er verhält sich wie ein Vespa-Fahrer mitten im römischem Verkehrschaos: rote Ampeln ignorieren, bei Stau einfach über den Bürgersteig fahren, und im Zweifel sind sowieso immer die anderen schuld. Dieser Mann, der außer Scherzen über US-Präsident Barack Obamas Hautfarbe auch gerne mal in aller Öffentlichkeit KZ-Witze erzählt (zuletzt geschehen am 17. Januar, ohne dass die italienischen Medien darüber berichtet hätten), ist nicht nur unmöglich. Er ist vor allem gefährlich. Gefährlich für die Demokratie, gefährlich für das Ansehen des Landes. Er hat nicht die Interessen Italiens im Blick, sondern nur seine eigenen.

Höfliches Übersehen ist die falsche Strategie

Silvio Berlusconi wird im Ausland gerne als "nicht ernst zu nehmender Spinner" unterschätzt, der nur durch regelmäßige Ausfälle auf sich aufmerksam macht. Ich glaube, das ist ein großer Fehler. Friede, Freude, Eierkuchen und das höfliche Übersehen des einen oder anderen Fauxpas sind genau die falsche diplomatische Strategie. Diesen Mann muss man ernst nehmen, man muss ihm genau auf die Finger schauen, man muss ihn kritisieren. Nicht zu vergessen: Italien hat dieses Jahr die G8-Präsidentschaft inne.

Was besonders schmerzt: In Sachen Eluana wurde Berlusconis Kurs von der katholischen Kirche unterstützt, wenn nicht sogar angeschoben. Natürlich kämpft die Kirche gegen jede Form von Sterbehilfe - das ist ihr gutes Recht. Dass sie dazu aber auch Allianzen mit Berlusconi eingeht, anstatt diesen offen für seine gefährliche Politik zu kritisieren, ist sehr schade.

Beim deutsch-italienischen Gipfel in Triest hat sich Italiens Ministerpräsident hinter einer Säule versteckt und fröhlich "Kuckuck" gerufen, als die Bundeskanzlerin vorbeikam. Leider haben viele Italiener immer noch nicht begriffen, was für einen Vogel sie da eigentlich gewählt haben.


Quelle:
Fall Englaro zeigt Berlusconis Gefährlichkeit von Stefan Troendle für Tagesschau.de, 10. Februar 2008

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